Problem:

Ein Windows-PC, der vormals in identischer Hardware-Konfiguration jahrelang problemlos lief, stürzt häufig ohne Vorwarnung und ohne erkennbaren Zusammenhang mit laufender Software ab. Auch die Neuinstallation des Betriebssystems ändert nichts an diesem Verhalten. Manchmal friert der Bildschirm einfach ein, aber zumeist kommt ein Blue Screen Of Death (BSOD) mit Fehlercodes wie STOP ERROR 0x0000007F oder 0x000000D1, bezogen auf alle möglichen Treiberdateien unter Windows (bei mir waren es der RAID-Treiber Promise FT378 sowie der Audio-Treiber, alles Fehlalarme, denn daran lag es nicht).

Diagnose:

Hardwarefehler!

Aufgrund meiner leidigen Erfahrung mit diesem Fehler prüfen Sie bitte noch vor allen anderen Hardware-Komponenten die Elektrolytkondensatoren am Schaltregler für die Kernspannung des Mikroprozessors auf Schäden. Hier sind eine ganze Reihe impulsfester Kondensatoren der Größenordnung 1000 bis 1800µF verbaut mit üblicherweise 6.3V Nennspannung. Es handelt sich um eine Gruppe kleiner zylinderförmiger stehender Bauteile mit dunkler bedruckter Folie außen herum und auf der Oberseite eine Aluminiumfläche, die mit Kerben (Sollbruchstellen) versehen ist, häufig in Form der Buchstaben 'X' oder 'K'. Der Durchmesser der einzelnen Kondensatoren beträgt etwa 7mm, die Höhe etwa 15mm. Das Rastermaß beträgt 3.5mm Sie sitzen üblicherweise sehr nah am Mikroprozessor und werden manchmal erst sichtbar, wenn man den Kühlkörper oberhalb des Prozessors ausbaut.

Hier 7 Kondensatoren vom Typ L-Z / Low-ESR 1500µF/6.3V direkt neben dem Rahmen für den Kühlkörper eines Intel Pentium 4 Sockel 478. Man erkennt scheinbar "Dreck" auf der Oberseite der Kondensatoren. Genau dieser "Dreck" ist die Wurzel des Übels.

Schaut man sich die Kondensatoren nämlich näher an, bemerkt man dies:

Einige Kondensatoren sind oben nach außen gewölbt, einige andere aufgerissen und bei einigen ist sogar ein mehr oder weniger großes Loch im Aluminium zu erkennen, aus dem große Mengen brauner Flüssigkeit ausgetreten sein muss. Diese Flüssigkeit ist das Elektrolyt, eine elektrisch leitfähige Chemikalie, die für den Betrieb des Kondensators unerlässlich ist. Geht diese Flüssigkeit verloren, verliert der Kondensator seine Kapazität und damit seine Funktion in der Schaltung.

Was machen nun diese Kondensatoren? Für die Kernspannung des Mikroprozessors werden so etwa 1.5V Spannung mit sehr hohen Strömen (mehrere Ampère) benötigt. Die üblichen PC-Netzteile liefern hauptsächlich 12V und 5V, vielleicht auch noch 3.3V. Darunter müssen weitere Spannungen also außerhalb des Netzteils, hier auf der Hauptplatine erzeugt werden. Da Linearregler mit Längstransistor, der je nach Bedarf mal mehr oder mal weniger "auf macht" eine zu hohe Verlustleistung hätten, so sehr dass diese Bauteile schlicht abbrennen würden bei den benötigten Strömen, verwendete man bei solchen Hochstromanwendungen Schaltregler.

Das Prinzip eines Schaltreglers:

Der Schaltregler überwacht die Ausgangsspannung an der Last. Ist diese zu gering, schaltet er seine Eingangsspannung (beispielsweise 5V vom Netzteil) auf eine Kondensatorbank. Ist die gewünschte Spannung an der Last und damit auch an den Kondensatoren erreicht, schaltet der Schaltregler die Spannung wieder ab. Damit die Schaltströme nicht zu hoch ansteigend, liegt zwischen Schalter und Kondensatoren noch eine Speicherdrossel. Die Frequenz, mit der ein solcher Schaltregler zwischen den Zuständen AN und AUS hin- und herschaltet ist enorm hoch, sie liegt üblicherweise in der Größenordnung von mehreren hundert Kilohertz und einigen Megahertz. Und genau aus diesem Grund dürfen die Kondensatoren auch keinen großen "Innenwiderstand" aufweisen, sie müssen eine möglichst "niedrige Impedanz" haben, auf Englisch "LOW IMPEDANCE" oder "LOW-ESR" (ESR=  Equivalent Series Resistance, Serienwiderstand) oder "L-Z" (Z = Formelzeichen für Impedanz). Und zwar, damit sie die hochfrequenten Schaltströme möglichst gut aufnehmen und damit der Ripple (Spannungsschwankungen) an der Last möglichst gering bleibt. Kurz gesagt soll von den Schaltschwankungen AN/AUS an der Last möglichst nichts mehr ankommen, da will man nur noch eine Gleichspannung messen können.

Hat man dieses Prinzip verstanden, erahnt man schon, warum defekte Kondensatoren eine so fatale Auswirkung auf den Prozessor haben müssen: fällt die glättende Wirkung der Kondensatoren zunehmen weg, weil sie ihr Elektrolyt verlieren, kommt es an der Last zu regelmäßigen Über- und Unterspannungseffekten. Wie Überspannungen von der Prozessorlogik abgefangen werden, also wann dieser Rauchzeichen abgibt, darüber kann man hier nur spekulieren. Bei Unterspannungen jedoch kommt es nachvollziehbar zu Ausfällen in der Logik, diese kann die erforderlichen Pegel für die sichere Erkennung von 0 und 1 nicht mehr darstellen. Und damit kommt es zu Datenfehlern und somit zu Programmabstürzen!

Genau diesen Effekt haben wir hier.

Schaut man sich die Datenblätter für solche Kondensatoren an, liest man bisweilen Lebensdauerangaben von etwa 5.000 Betriebsstunden. Das hört sich viel an? Im ersten Moment vielleicht. Rechnet man es auf Tage hoch, wäre das aber weniger als ein Jahr im Dauerbetrieb. Der Rechner, aus dem die obigen Bilder stammen, lief etwa 5.5 Jahre im Dauerbetrieb, eh es zu ersten Ausfallerscheinungen kam, also rund 48.000 Stunden! Klar, die Kondensatoren begannen bereits viel früher mit der Entwicklung dieser Schäden, aber es ist bemerkenswert, wie lange der Rechner damit trotzdem noch lief.

Lösung des Problems:

Wir haben hier drei Möglichkeiten:
1) Hauptplatine durch identischen Typ ersetzen (Ersatz bekommt man aber nach mehreren Jahren üblicherweise nicht mehr), Kosten etwa 100 Euro
2) Hauptplatine durch anderen Typ ersetzen (und damit zumeist auch den Speicher, den Prozessor, vielleicht die Grafikkarte), Kosten leicht 1000 Euro und mehr
3) Ersetzen der defekten Kondensatoren, Kosten etwa 10 Euro

Ich entschied mich dafür, die Kondensatoren zu ersetzen. Ich besorgte mir bei Segor-Elektronik in Berlin 10 Stück ESR-Kondensatoren zum Stückpreis von 91 Cent. Diese haben mit 1.500µF/10V die gleiche Kapazität, aber eine erhöhte Betriebsspannung. Segor hatte leider keine 6.3V-Typen. Wäre auch nur von Vorteil, wenn die 10V-Typen nicht einen Durchmesser von 10mm hätten und damit nicht mehr in einer Reihe nebeneinander auf die Hauptplatine passten.

Und damit begann das Gebastel! Hauptplatine ausbauen dauerte etwa eine halbe Stunde, das ging noch. Schön Fotos machen, wie alle Steckverbinder sitzen, gehörte als Sicherheitsmaßnahme dazu. Dann in den Keller an die Lötstation, dicke 6mm-Lötspitze aufgezogen und Temperatur auf 400°C gestellt. Dann jeweils beide Beinchen eines Kondensators gleichzeitig aufheizen und von der anderen Seite mit der Hand vorsichtig ziehen. Achtung 1: die Kondensatoren sind an große Kupferflächen angelötet, die Wärme gut abführen, daher ist eine große Lötspitze notwendig. Achtung 2: Durchkontaktierungen in Multilayer-Platinen sind empfindlich, leicht zieht man diese mit aus der Platine, wenn man nicht aufpasst.

Die Kondensatoren waren schnell entfernt. Leider verblieb eine Menge Lötzinn in den Löchern, so dass man die neuen Kondensatoren nicht einfach durchstecken und verlöten konnte. Also mit Entlötlitze, Entlötsaugpumpe und einer Menge Feingefühl das Lötzinn aus den Löchern entfernt. Auch hier: die beiden "Achtungs" von oben beachten!

Das Verlöten der neuen Kondensatoren war dann noch das Einfachste. Ich bestückte nicht alle 7 Positionen, weil das von den Abmessungen nicht möglich war. Da der Rechner aber noch mit defekten Kondensatoren offenbar recht lange lief, sollten 6 Stück auch reichen.

Das sah dann so aus:

Schief und krumm, egal, Hauptsache es funktioniert!

Was soll ich sagen: Operation war erfolgreich, der Patient lebt wieder. Keinerlei Ausfälle mehr, der Rechner läuft inzwischen wieder mehrere Tage am Stück ohne einen Absturz, kein BSOD, kein Einfrieren des Bildschirms mehr. Vor der Reparatur schaffte er in keinem Fall mehr 3 Stunden am Stück, unter hoher Prozessorlast nicht einmal mehr eine Stunde.

Ich kann nur jedem empfehlen, bei unerklärlichen Abstürzen des Computers die verbauten Kondensatoren genau unter die Lupe zu nehmen. Kann eine Menge Geld und Ärger ersparen!

Update August 2009:

Offenbar haben die Hersteller inzwischen gelernt, da das Thema der abpfeifenden Elektrolytkondensatoren über mehrere Jahre hohe Wellen geschlagen hatte. Inzwischen wird sogar offensiv mit der Lebensdauer der Kondensatoren geworben.

Ich habe nach nun 6 Jahren mit dem "alten" Rechner mal wieder ein neues Projekt begonnen. Zuvor, zwischen 1991 und 2003, baute ich mir so im Schnitt einen neuen Rechner pro Jahr. Somit war ich die letzten Jahre sehr "treu". Hier das Projekt.

Dipl.-Ing. Carsten Seehawer, 25.01.2009

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